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Wir können alles außer hören

am 2. November um 19 Uhr auf Radio Charivari Rosenheim

Anders die Welt erleben – das machen die 1500 Hörgeschädigte, die es ca. in Rosenheim gibt. 1923 wurde der Hörgeschädigtenverein Rosenheim e.V. gegründet. Maria Dünninger hat den Vorsitzenden Andreas Merkle interviewt. Mit ihm spricht sie über den Verein, die Sportabteilung und die Probleme, die Hörgeschädigte haben. Er ist selbst hörgeschädigt und wird währen des Interviews von Marie-Therese Gartner gedolmetscht.

Bild: Clker-Free-Vector-Images

Nachfolgend eine schriftliche Version der Beiträge:

Teil 1

MD: Anders die Welt erleben – das machen die 1500 Hörgeschädigte, die es ca. in Rosenheim gibt. 1923 wurde der Hörgeschädigtenverein Rosenheim e.V. gegründet. Ich habe den Vorsitzenden Andreas Merkle interviewt. Er ist selbst hörgeschädigt und wird von Marie-Therese Gartner gedolmetscht. Im Interview hat er Maria Dünninger die Beweggründe für die Gründung des Vereins erzählt.

AM: Damals war es auch eher so, dass die Gehörlosen sehr häufig versteckt waren. Sie haben nicht viel Zugang zu Bildung und Wissen gehabt, sie haben wenig Information bekommen. Jeder hat so alleine vor sich hingelebt und Herr Obermaier War damals der Meinung, dass es wichtig ist, einen Verein zu gründen, damit wo eben alle Gehörlosen die so einzeln verstreut in ihren Ecken leben, sich austauschen können. Dieser Hauptgrund existiert bis heute.

MD: 80 Jahre später kam dann die Sportabteilung dazu, da die Gehörlosen, laut Vorstand Andreas Merkle, in anderen Vereinen Schwierigkeiten bei der Akzeptanz haben

AM: Hauptproblem ist auch immer noch die Kommunikation. Da im Prinzip beides parallel existiert ist es für uns natürlich sinnvoller eine eigene Abteilung zu haben, wo wir auch in unserer Sprache kommunizieren können. In einem Hörenden Sportverein, wo alle Leute sprechen und unsere Sprache nicht können, hätten wir auch keine Akzeptanz und wir könnten auch dann nicht mehr bei den Gehörlosenfestspielen dabei sein. Deswegen mussten wir auch eine eigene Gruppe gründen, damit wir auch unsere eigenen Festspiele besuchen können.

MD: Im Verein gibt es die Sportabteilungen Badminton, Berglauf und Motorsport. Damit ein Wettbewerb zwischen anderen Gehörlosen stattfinden kann, gibt es zum Beispiel die deutsche Gehörlosemeisterschaft im Badminton. Dabei wird zwar nicht dasselbe  Leistungsniveau erreicht, etwas unterscheidet aber sich nicht von Nichtgehörloseturnieren.

AM: In dem nicht Gehörlosenbereich ist auch die Leistung eine ganz andere, denn Hörgeschädigte haben auch durch die Hörschädigung einige andere Defizite, die sich natürlich auch in der Leistung wiederspiegeln. Deswegen kann man da schon mal von einem klaren Leistungsunterschied sprechen. Ja die Stimmung ist aber grundsätzlich die gleiche, ob bei einem Wettkampf nun Gehörlose da sind. Wir haben eben eine andere Kultur und eine andere Sprache, aber die Stimmung ist identisch.

MD: Beim Badminton vor allem beim Doppel, ist die Kommunikation sehr wichtig. Da dieses Spiel sehr schnell ist, muss die Abstimmung zwischen den Spielern perfekt passen. Gehörlose haben nicht die Möglichkeit sich über die Sprache abzusprechen, deshalb setzen sie andere Sinne ein.

AM: Wir sind dafür visueller geprägt, das heißt wir haben eine viel größere Aufnahme durch unsere Augen. Wir schauen und sehen viel mehr was unser Partner macht, ob der nach vorne geht, dann gehen wir nach hinten und wenn er nach hinten geht, gehen wir nach vorne. Vieles muss natürlich vorher schon mal abgesprochen werden, wie so die Pläne sind, aber das meiste nehmen wir dann im Spiel über unsere Augen wahr und das läuft hauptsächlich ohne Kommunikation.

MD: Leider ist es so, dass nur wenige Wettkämpfe im Jahr stattfinden, da es viel zu wenige regionale Hörgeschädigte Vereine gibt. Der Bayerische Gehörlosensportverband veranstaltet immer mal wieder Wettkämpfe, allerdings bayernweit. Die Teilnehmer müssen daher immer lange Fahrtwege in Kauf nehmen. Gleich hören Sie, welche Probleme die Hörgeschädigten im Alltag haben.

Teil 2

MD: Wir können alles außer hören, trotzdem ist es für Hörgeschädigte nicht immer leicht, sich in der Welt der Hörenden zu recht zu finden. Meine Kollegin Julia Witte hatte sich vor 3 Jahren ebenfalls mit dem Vorsitzenden des Hörgeschädigtenvereins Andreas Merkle unterhalten und ihn gefragt, inwiefern esaußerhalb von seinem Verein Freizeitangebote für Hörgeschädigte gibt,die barrierefrei sind?

AM: Leider noch sehr wenig, beispielsweise gibt es kein Kino in Rosenheim bei dem es Untertitel gibt. Das wäre für uns sehr schön, dann könnten wir auch Filme anschauen und verstehen worum es geht. Andere Hörende haben beispielsweise die Möglichkeit abends ins Kino zu gehen ohne sich vorher terminlich darüber Gedanken zu machen, wann sie jetzt unbedingt einen Film anschauen. Wir können das nicht, wir können nicht einfach ins Kino gehen, weil wir keine Untertitel haben.

MD: Andreas Merkle ist selbst hörgeschädigt und wird während des Interviews von Marie-Therese Gartner gedolmetscht. Drei Jahre später wollte ich von ihm wissen, ob sich nach dieser Zeit etwas geändert hat.

AM: Vor drei Jahren habe ich das bemängelt und da hat sich jetzt nicht so viel geändert, aber wir haben natürlich den Vorteil, dass sich die Technik immer weiter entwickelt und der technische Fortschritt auch langsam in Rosenheim ankommt. Für uns Gehörlose ist es noch so, dass wir uns es uns immer noch wünschen würden, dass es im Kino Untertitel gibt, damit wir Filme im Kino miterleben können. Leider hat sich Rosenheim immer noch nicht umgestellt, wenn wir einen Film mit Untertitel sehen wollen, müssen wir häufig bis nach München fahren.

MD: Dass Filme auf der Leinwand mit Untertiteln gezeigt werden, wird wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren nicht möglich sein. Andreas Merkle meint, dass für viele Einrichtungen die Anzahl der Gehörlosen zu klein sei, als dass es sich lohnen würde große Änderungen vorzunehmen. Um den Gehörlosen trotzdem einen spontanen Kinobesuch zu ermöglichen wurde eine App entwickelt.

Kino: Die App nennt sich Greta und Starks und bei der App für die Gehörlosen kann man dann praktisch auf seinem Handydisplay die Untertitel ablesen von der entsprechenden Vorstellung und das funktioniert eigentlich schon fast für  die meisten Filme jetzt.

MD: Sagt ein Mitarbeiter aus dem Kino in Rosenheim. Um sich in der Öffentlichkeit zu verständigen, brauchen die Gehörlosen oft einen Dolmetscher. Leider gibt es in Deutschland viel zu wenige davon. Im Gegensatz zu anderen Ländern, dort ist das Erlernen der Gebärdensprache viel leichter möglich.

AM: In Amerika zum Beispiel gibt es die Gebärdensprache schon im Schulunterricht als Fremdsprache. Da können Kinder die eigentlich überhaupt nichts mit der Gebärdensprache zu tun haben, trotzdem die Gebärdensprache lernen. So können sie später, wenn sie im Alltag auf Gehörlose treffen, sich mit ihnen direkt  unterhalten. Das ist in Amerika ganz normal. Das Thema Gebärdensprache ist dort kein großes Thema. In Deutschland ist das nicht so, hier gibt es wenig Angebote und in welcher Schule lernen die Kinder als Fremdsprache die Gebärdensprache.

MD: Um die Möglichkeit zu haben, das Sprechen zu erlernen und hören zu können, wurde das Cochlea-Implantat entwickelt. Wie das funktioniert hören sie gleich.

Teil 3

MD: Extra eine Stunde ein Thema. Heute dreht sich alles um das Thema Hörgeschädigte in Rosenheim. Um diesen Menschen das Hören zu ermöglichen wurde vor über 20 Jahren das Cochlea Implantat entwickelt.

MH: Cochlea Implantate kommen dann in Frage, wenn die normalen Hörgeräte nicht mehr ausreichen. Da hört man einfach elektrisch, man hört nicht über normalen Weg über Schall sondern über elektrische Impulse. In einer Operation wird praktisch eine Elektrode ins Innenohr gelegt und die übernimmt die normale Funktion eines Innenohrs.

MD: Sagt Markus Hoffmann, Geschäftsführer vom Hörzentro in Rosenheim. Das frühe Einsetzten dieses Implantats ist besonders wichtig, Kleinkinder haben dann viel bessere Chancen das Sprechen zu erlernen. Im Erwachsenenalter ist das schon schwieriger.

AM: Problem dabei ist, dass man dann trotzdem nicht 100 prozentig voll hört und viele Menschen, die das CI bekommen, die wissen damit auch gar nicht richtig umzugehen oder können trotzdem eben nicht voll hören. Häufig wird ihnen gesagt, dass sie die Gebärdensprache nicht mehr brauchen und dass sie eigentlich nur noch sprechen müssen. Das Problem an der Sache ist, dass sie dann den Zugang zur Gehörlosenwelt nicht mehr haben. Sie sind im Prinzip schwerhörig, sie können nicht richtig hören, sie können nicht richtig sprechen und sie können auch nicht gebärden.

MD: Meint der hörgeschädigte Andreas Merkle. Er wird im Interview von Marie-Therese Gartner gedolmetscht. Durch das Implantant stirbt die Gebärdensprache immer mehr aus, da sich damit auf das Erlernen des Sprechens konzentriert wird. Das braucht aber auch seine Zeit.

MH: Es hängt ein bisschen von der Person ab, also man kann sagen, zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren, bis jemand so weit ist.

MD: Es ist nicht nur die Zeit, die es braucht, um die das Sprechen zu lernen, es gibt auch andere Gründe, warum Andreas Merkle es für wichtig empfindet, die Gebärdensprache zu können.

AM: Denn wenn zum Beispiel die Technik mal versagt, oder wenn sie sich damit nicht mehr wohlfühlen oder wenn der Höreindruck doch nochmal ein anderer wird, dann haben sie mit der Gebärdensprache immer noch die Möglichkeit sich darüber auszutauschen und sind zumindest in der Gehörlosenwelt verankert. Das wäre mein Wunsch und meine Information, dass es wichtig ist, bilingual die deutsche Lautsprache und die Gebärdensprache gemeinsam lernt. Damit die Gebärdensprache nicht ausstirbt. Die alten Menschen sterben weg und die Gebärdensprache existiert dann irgendwann nicht mehr und es gibt dann nur noch Menschen mit einem Cochlea-Implantat, die nicht wissen wo sie hingehören, weil sie weder richtig hören können noch gehörlos sind.

MD: weitere Informationen unter www.hgv-rosenheim.de

Erstellt am 02.11.2017

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